Harro Kiendl
Es hat mich stets fasziniert, dass es Daseinsbereiche gibt, die mit mathematischen Methoden perfekt zu verstehen und zu beherrschen sind. So macht das verblüffend einfache Gravitationsgesetz die Maschinerie der Himmelsmechanik verständlich und es liefert den Schlüssel dafür, dass unsere Raumsonden zielsicher navigieren.
Andere Daseinsbereiche werden dagegen von Wörtern dominiert. So tauschen zum Beispiel die Bediener industrieller technischer Anlagen ihre Erfahrungen mit Wörtern aus. Und das ist für sie durchaus ein Gewinn, obwohl sie dabei häufig auch Wörter verwenden – „ziemlich“ oder „langsam“ etwa –, deren Bedeutung unscharf ist.
Gibt es nun Verbindungen zwischen beiden Welten, derjenigen der Formeln und jener der Wörter? Diese naheliegende Frage hat mich motiviert, mich fast lebenslang an der Entwicklung der Computational Intelligence zu beteiligen.
Aber da wäre noch etwas: Menschen tauschen Gedanken und Empfindungen auch mit Wörtern aus, die iIhre Bedeutung umso mehr verlieren, je tiefer man über sie nachdenkt. Soll man dies als gegeben hinnehmen? Oder sollte man es doch versuchen, dieses Dunkel durch geeignet gesetzte, ein wenig klarere Wörter zumindest etwas aufzuhellen? Die Verse hier sind ein solcher Versuch:
Wörter
Was ist „natürlich“?
Was „übernatürlich“ –
über die Natur hinaus?
Beide Wörter hat der Mensch gemacht.
Ohne sie wäre die Welt
als eine Einheit zu sehen.
Aber diese Wörter sind da,
haben der Sicht eine Grenze auferlegt,
die die Welt in zwei Teile zerlegt.
Nun stehen wir da, rätseln,
was wohl hinter der Grenze liegt,
und vergessen, dass die Mauer
doch nur ein Geschöpf unseres Denkens ist.
So wie das Wort Gott.
Gäbe es nicht dieses Wort,
dann wäre darüber auch kein Streit.
Nichts wäre zu beweisen, zu bezweifeln,
oder zu glauben.
Doch es fände sich wohl alsbald
ein anderes berührendes Wort.
Und es bliebe alles beim Alten.
Wörter lösen Probleme,
schaffen sie aber auch.
Auch diese.
Da ich – nicht nur wegen meiner Verbindung zur Regelungstechnik – ein Freund der Rückkopplung bin, habe ich diese Zeilen dem humanistischen Magazin diesseits geschickt. Die Redaktion hat sie im Heft 2/2017 mit einer passgenauen, schönen Hintergrundgrafik veröffentlicht (31. Jahrgang Nr.119, 2/2017, S. 43). Download mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.