Harro Kiendl
Fingerspitzengefühl für automatisierte Technik – und Musik: Die Industrie nutzt die Fuzzy-Methodik dazu, das Geschick erfahrener Prozessbediener als Regeln zu fassen und so für Computeranwendungen nutzbar zu machen. Menschliches Fingerspitzengefühl bestimmt auch das Hörerlebnis, das ein Interpret – etwa ein Pianist – durch sein Spiel vermittelt. Kann die Fuzzy-Methodik auch hier etwas leisten, was wir eigentlich nur menschlichem Einfühlungsvermögen zutrauen?*
Ein Pianist spielt die Tonhöhen zwar so, wie vom Notenblatt vorgegeben. Aber wann genau, in welchem richtigen Moment, und wie lange und laut er die Tasten anschlägt und wann er das Pedal dazu tritt, liegt im Rahmen gewisser Empfehlungen. Andante, piano, addolorato: Wie sich das bei eben diesem Pianisten anhört, gebührt seiner Interpretationsfreiheit – der Andockpunkt für die Fuzzy-Methode.
Zentral dafür, die Fuzzy-Methodik zur Musikinterpretation einzusetzen, waren Interviews mit Klavierspielern. Darin haben diese jeweils ihre persönliche Spielweise durch qualitative Regeln charakterisiert. Ein Beispiel: WENN eine kurze Note der rechten Hand kurz vor einem Wechsel der Tonart von Dur nach Moll vorkommt, DANN reduziere das Tempo beträchtlich. Solche Regeln und der Notentext wurden in ein Computerprogramm gespeist, das daraus eine über ein Keyboard abspielbare MIDI-Datei generiert.
Vorab aber muss einiges festgelegt werden: Welche der Interpretationsregeln sollen zum Einsatz kommen? Wie sind die in den Regeln vorkommenden qualitativen Größen – etwa „beträchtlich“ – zu quantifizieren? Und schließlich: Mit welchen Fuzzy-Strategien sollen widersprüchliche Empfehlungen unterschiedlicher Regeln zu einem eindeutigen Ergebnis verrechnet werden? An die Stelle des Pianisten tritt so ein computerassistierter Interpret: Seine Aufgabe ist, die Eingriffsmöglichkeiten interaktiv so zu nutzen, dass das Hörergebnis seinen Erwartungen entspricht.
Um einen Eindruck von unserem seinerzeit erreichten Stand zu vermitteln, wird hier Ludwig van Beethovens Stück „Für Elise“ zunächst rein mechanisch abgespielt. Alle Noten werden exakt im Zeitraster des Notentextes und alle gleich laut angeschlagen. Das Resultat: ein eher monotones Geklimper ohne Variationen von Tempo und Lautstärke.
Elise mechanisch:
Ganz anders, wenn das Fuzzy-Verfahren mitspielt: Hier können Sie zwei nach der beschriebenen Methode interaktiv entstandene Interpretationen des Stücks hören.
Elise interpretiert:
Das hier anhand erster Beispiele angerissene Potenzial der Fuzzy-Methode ist vor allem darin zu sehen, dass der computerassistierte Interpret sein musikalisches Empfinden walten lassen kann, ohne auf Fingerfertigkeit angewiesen zu sein. Zudem kann er einen einmal erreichten Stand ohne sich zu vertun jederzeit genauso wiederholen und weiter verbessern.
Bislang kamen bei all dem nur Regeln zum Einsatz, die abbilden, wie sich Pianisten bewusst verhalten. Um das Fuzzy-Verfahren weiterzuentwickeln, wäre es nun interessant, auch Regeln zum unbewussten Verhalten von Pianisten zu verwenden. Dies kann sich zum Beispiel darin äußern, dass das Stück – abhängig vom technischen Anspruch und der musikalischen Komplexität der jeweiligen Passage – mit unterschiedlich ausgeprägten und scheinbar zufälligen, lebendig wirkenden Tempo- und Lautstärkeschwankungen gespielt wird. Diese Spielweise lässt sich jedoch kaum durch Interviews näher aufschließen. Allerdings ließe sie sich sehr wohl rechnergestützt in Form von Regeln objektivieren. Hierfür bietet sich das am Lehrstuhl entwickelten Fuzzy-ROSA-Verfahren an, das sich bereits zur datenbasierten Modellierung des Verhaltens von Bedienern technischer Prozesse vielfach bewährt hat.
* Kiendl, H., Kiseliova, T. und Rambinintsoa, Y. (2006), Use of Fuzzy Strategies for Interpretation of Music. In: Journal of Multiple-Valued Logic & Soft Computing 12, Old City Publishing, Inc., S. 149–166.